Baader-Meinhof-Phänomen: Wenn die Wahrnehmung täuscht
Du hast gerade zum ersten Mal von einem seltenen Automodell gehört und siehst es plötzlich überall? Dieses Phänomen nennt sich Baader-Meinhof-Phänomen und zeigt, wie unsere Wahrnehmung durch selektive Aufmerksamkeit beeinflusst wird. In diesem Beitrag erfährst du, wie und warum das Gehirn uns manchmal Streiche spielt.
Was ist das Baader-Meinhof-Phänomen?
Das Baader-Meinhof-Phänomen, auch bekannt als Frequenzillusion, bezeichnet eine kognitive Verzerrung, bei der etwas nach erstmaliger bewusster Wahrnehmung plötzlich häufiger aufzutreten scheint. Dieses Phänomen tritt auf, wenn nach dem Lernen oder Bemerken eines neuen Elements der Eindruck entsteht, dass dieses überall auftaucht, obwohl es nicht häufiger vorkommt als zuvor.
Hierbei handelt es sich um eine subjektive Wahrnehmung, bei der das Gehirn selektiv Informationen beachtet, die kürzlich als relevant eingestuft wurden.
Definition des Baader-Meinhof-Phänomens
Das Baader-Meinhof-Phänomen, auch als Frequenzillusion bekannt, beschreibt eine kognitive Verzerrung, bei der man den Eindruck hat, dass etwas häufiger auftritt, nachdem es erstmals bewusst wahrgenommen wurde.
Faktoren, die das Baader-Meinhof-Phänomen begünstigen, sind:
- Selektive Aufmerksamkeit: Das Gehirn filtert unwichtige Informationen aus und fokussiert auf Relevantes.
- Wiederholung: Häufiges Auftreten eines Elements lässt das Gehirn dessen Bedeutung steigern, auch wenn es zuvor unbeachtet blieb.
- Erhöhtes Bewusstsein: Nach der initialen Wahrnehmung wird etwas bewusster wahrgenommen.
Ein typisches Beispiel ist, wenn jemand ein neues, seltenes Automodell entdeckt und dann plötzlich meint, dieses Auto überall zu sehen. Der Name «Baader-Meinhof-Phänomen» entstand 1994, als ein Leser der St. Paul Pioneer Press nach der Lektüre über die deutsche Terroristengruppe Baader-Meinhof den Eindruck hatte, ständig auf Informationen über diese Gruppe zu stossen.
Das Baader-Meinhof-Phänomen wird im Marketing gezielt genutzt, um die Wahrnehmung von Produkten zu verstärken. Wenn Konsumenten ein Produkt oder eine Dienstleistung zum ersten Mal bemerken, sehen sie es plötzlich überall, was den Eindruck erweckt, dass es weit verbreitet und populär ist. Dies kann ihre Kaufentscheidungen beeinflussen, da sie glauben, dass das Produkt häufiger und damit möglicherweise besser oder notwendiger ist.
Psychologische Mechanismen hinter dem Baader-Meinhof-Phänomen
Das Baader-Meinhof-Phänomen zeigt, wie das Gehirn Informationen verarbeitet und interpretiert, was zu einer verzerrten Wahrnehmung der Realität führen kann. Es basiert auf mehreren psychologischen Mechanismen.
Selektive Aufmerksamkeit
Nach der Wahrnehmung von Neuem oder Ungewöhnlichem richtet sich die Aufmerksamkeit verstärkt darauf. Dadurch wird dieses Element häufiger wahrgenommen und besser erinnert, was den Eindruck erhöhter Häufigkeit erzeugt.
Beispiel für selektive Aufmerksamkeit in der Werbung
Die Werbekampagne von Apple für das iPhone 14. Nach der Einführung des neuen Modells richtet sich die Aufmerksamkeit der Konsumenten verstärkt auf Smartphones. Dadurch nehmen sie Werbung und Nachrichten zu iPhones häufiger wahr, was den Eindruck verstärkt, dass das iPhone 14 überall präsent ist.
Bestätigungsverzerrung (Confirmation Bias)
Es wird aktiv nach Informationen gesucht, die jüngste Erfahrungen oder neue Kenntnisse bestätigen, was den Eindruck der Häufigkeit verstärkt.
Beispiel für eine Bestätigungsverzerrung in der Werbung
Die Werbekampagne von Beyond Meat. Konsumenten, die bereits überzeugt sind, dass pflanzliche Fleischalternativen gesünder und umweltfreundlicher sind, suchen aktiv nach Informationen, die diese Ansichten unterstützen. Dadurch entsteht der Eindruck, dass Werbung und positive Berichte über Beyond Meat-Produkte häufiger vorkommen.
Verfügbarkeitsheuristik
Neue Konzepte oder Informationen sind kognitiv leichter verfügbar. Dies führt zur Überschätzung ihrer tatsächlichen Häufigkeit, da sie schneller in den Sinn kommen.
Beispiel für Verfügbarkeitsheuristik in der Werbung
Die Werbung von Coca-Cola mit Weihnachtsmotiven. Die wiederkehrenden weihnachtlichen Coca-Cola-Spots und Plakate machen diese Motive kognitiv leichter verfügbar. Konsumenten überschätzen daher, wie oft sie Coca-Cola-Weihnachtswerbung tatsächlich sehen.
Gedächtnisverzerrungen
Das Gedächtnis erinnert sich besonders gut an emotional aufgeladene, persönlich relevante oder neuartige Informationen, was den Eindruck der Häufigkeit verstärkt.
Beispiel für Gedächtnisverzerrungen in der Werbung
Die emotionale Werbung von Nike mit Sportlergeschichten. Diese Kampagnen bleiben besonders gut im Gedächtnis, da sie emotional aufgeladen sind. Konsumenten erinnern sich dadurch häufiger an Nike-Werbung und haben den Eindruck, dass sie allgegenwärtig ist.
Priming
Aktives Nachdenken oder Diskutieren über ein Thema führt dazu, dass das Gehirn die Information als relevant einstuft und nicht herausfiltert. Durch die erste Begegnung mit dem Konzept wird das Gehirn «geprimt», was bedeutet, dass es vorbereitet ist, ähnliche Informationen schneller und effizienter zu verarbeiten, durch Voraktivierung relevanter neuronaler Netzwerke.
Beispiel für Priming in der Werbung
Beispiel: Die Kampagne von L'Oréal mit dem Slogan «Weil ich es mir wert bin». Sobald Konsumenten diesen Slogan hören oder sehen, werden sie stärker auf L'Oréal-Produkte aufmerksam. Das Gehirn filtert entsprechende Werbung nicht mehr heraus, und es scheint, als seien die Produkte häufiger präsent.
Musterbildung im Gehirn
Das Gehirn neigt dazu, neuronale Muster zu erzeugen, um Informationen zu speichern und zu ordnen. Die wiederholte Wahrnehmung eines Elements verstärkt solche Muster.
Beispiel für Musterbildung in der Werbung
Die wiederholte Werbung von Red Bull. Durch konstante Präsenz von Red Bull-Werbung in verschiedenen Medien und bei Sportveranstaltungen bilden sich neuronale Muster im Gehirn der Konsumenten. Diese verstärken den Eindruck, dass Red Bull häufiger beworben wird als andere Energy-Drink-Marken.
Neurowissenschaftliche Mechanismen des Baader-Meinhof-Phänomens
Das Baader-Meinhof-Phänomen lässt sich auf neurowissenschaftlicher Ebene durch mehrere miteinander verbundene Prozesse im Gehirn erklären. Diese folgenden neurowissenschaftlichen Prozesse erzeugen zusammen die subjektive Erfahrung des Baader-Meinhof-Phänomens und verdeutlichen, wie das Gehirn die Wahrnehmung der Welt basierend auf jüngsten Erfahrungen und Interessen formt und filtert.
Aktivierung des Aufmerksamkeitsnetzwerks
Bei der Wahrnehmung von Neuem oder Interessantem wird das Aufmerksamkeitsnetzwerk aktiviert, einschliesslich präfrontalem Cortex, parietalem Cortex und anterioren cingulären Cortex. Dies erhöht die Sensibilität für ähnliche Stimuli.
Der präfrontale Kortex ist eine anatomische Region des Frontallappens, die durch zahlreiche Afferenzen und Efferenzen stark vernetzt ist. Diese Region wird als das anatomische Korrelat für Aspekte der Persönlichkeit, der Motivation und höherer kognitiver Leistungen angesehen.
Der parietale Cortex oder Parietallappen ist ein Abschnitt des Grosshirns, der eine zentrale Rolle bei der Integration sensorischer Informationen spielt.
Der anteriore cinguläre Cortex (ACC) ist ein Bereich der Grosshirnrinde, der vermutlich in die Regulation autonomer Prozesse wie Blutdruck und Herzfrequenz involviert ist und an verschiedenen kognitiven Funktionen beteiligt sein könnte.
Verstärkung neuronaler Verbindungen
Wiederholte Wahrnehmungen des Phänomens stärken die neuronalen Verbindungen durch synaptische Plastizität. Dies führt zu einer effizienteren Verarbeitung ähnlicher Informationen in Zukunft.
Aktivierung des Gedächtnissystems
Das Hippocampus-System – zuständig für die Bildung neuer Erinnerungen – wird bei der ersten Begegnung mit dem neuen Konzept aktiviert, wodurch ähnliche Informationen in Zukunft leichter erkannt und abgerufen werden.
Selektive Filterung im Thalamus
Der Thalamus beginnt beim Baader-Meinhof-Phänomen, Informationen zu filtern, die mit dem neu gelernten Konzept verbunden sind, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass relevante Informationen bewusst wahrgenommen werden.
Der Thalamus ist das zentrale Organ für die Integration, Steuerung und Koordination sensibler und sensorischer Sinnessysteme. Er schaltet alle sensiblen und nahezu alle sensorischen Informationen um und leitet sie in den Kortex weiter. Daher wird der Thalamus auch als «Tor zum Bewusstsein» bezeichnet.
Dopamin-Ausschüttung
Die Entdeckung von Neuem oder die Bestätigung einer Erwartung kann zu einer Dopamin-Ausschüttung führen, was das Gefühl der Belohnung verstärkt und die Motivation erhöht, nach ähnlichen Erfahrungen zu suchen.
Dopamin ist ein biogenes Amin aus der Gruppe der Katecholamine und fungiert als wichtiger, überwiegend erregend wirkender Neurotransmitter im zentralen Nervensystem. Es ist essenziell für zahlreiche lebensnotwendige Steuerungs- und Regelungsprozesse, beispielsweise in der Erzeugung von Motivation.
Aktivierung des Default Mode Network
Dieses Netzwerk, aktiv bei Inaktivität, ist an Selbstreflexion und dem Nachdenken über vergangene und zukünftige Ereignisse beteiligt. Es trägt dazu bei, häufiger über das neue Konzept nachzudenken und es in verschiedenen Kontexten wahrzunehmen.
In der Neurowissenschaft wird das Default-Mode-Netzwerk (DMN), auch bekannt als medial-frontoparietales Netzwerk (M-FPN), als ein gross angelegtes Netzwerk im Gehirn beschrieben. Dieses Netzwerk ist besonders aktiv, wenn eine Person nicht auf die Aussenwelt fokussiert ist und das Gehirn sich in einem wachen Ruhezustand befindet, wie etwa beim Tagträumen und Gedankenwandern. Das DMN kann auch während detaillierter Gedanken, die mit der Durchführung externer Aufgaben zusammenhängen, aktiv sein. Zudem ist es aktiv, wenn über andere Personen nachgedacht wird, wenn man über sich selbst nachdenkt, sich an die Vergangenheit erinnert oder Pläne für die Zukunft schmiedet.
Verstärkung durch das Arbeitsgedächtnis
Das Arbeitsgedächtnis im präfrontalen Cortex hält das neue Konzept aktiv, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, es in verschiedenen Situationen wiederzuerkennen.
Das Arbeitsgedächtnis ist ein Teil des Gedächtnissystems, das Informationen kurzfristig speichert, um diese entweder in das Langzeitgedächtnis zu übertragen oder mit bereits gespeicherten Informationen zu vergleichen.